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Überbevölkerung hat es schon immer gegeben. Man sehe sich nur einen Ameisenhaufen an. Aber die Ameisen, im Gegensatz zu den Menschen, können das. Die schießen sich nicht gegenseitig tot, wenn es zu eng wird oder nerven einander mit lauter Musik durch die dünnen Hauswände hindurch. Die glänzen durch Teamwork und schleppen locker das Zehnfache ihres Körpergewichts.

 

Auch Berlin ist überbevölkert, ich kenne den Musikgeschmack meiner diversen Nachbarn ziemlich genau. Nur in Ausnahmefällen stimmt er mit dem Meinen überein. Ich lass mich nicht lumpen und reiße mein Fenster auf und drehe auf, wenn meine Lieblingsmusik läuft. Schließlich will ich auch gehört werden inmitten all der Überbevölkerung in meinem Hinterhof. Und wehe, es klingelt jemand an meiner Tür und beschwert sich. Neben meiner Tür hängt eine Axt.

Und dann ist da noch der eigentliche Grund der Überbevölkerung. Die ganzen Kopftuchgeschwader in dieser Stadt, die Berlin heißt, aber längst auf Klein-Istanbul umgetauft wurde. (Für Neulinge: Berlin liegt in Kreuzberg). Oder bei mir um die Ecke die afrikanische Gemeinde, die jeden Sonntag ihr ohrenbetäubendes Trommeln und Singen über die Straßen dröhnen und mehrere Sippen aufmarschieren lässt, in drapierten Riesentüchern mit bunten Riesenblumen drauf. Also: Die Bürgersteige und Parks sind derart überbevölkert von diesen Feinden des Einzelgängertums, dass es einen schon ärgern kann, wenn man an diesen Fressgelagen vorbeiläuft, mit zwei Plastiktüten in der Hand, völlig entnervt nach einer 40-Stunden-Woche und mehreren Besorgungen. Ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Ich frage mich was schlimmer ist: Die Kopftuchgeschwader, die auf jedem Flecken Grün Sippe und Picknick ausbreiten, so jüngst geschehen in den Grünanlage der Charité, oder die ewig motzenden Urberliner, die sämtliche wichtigen Einrichtungen der Stadt wie BVG, Müllentsorgung und Kleingärtnerverein noch fest in den Pranken haben und sonst aber auf mysteriöse Weise unsichtbar bleiben, mit Ausnahme ihres schmalbrüstigen komasaufenden Nachwuchses.

Ich habe mich an die Überbevölkerung gewöhnt, sie ist ein Phänomen, auf das ich nicht mehr verzichten kann. Sie gehört derart zu meinem Leben dazu, dass ich ziemlich nervös werden würde, wenn all diese Leute aus meinem Leben verschwänden. Die Schlangen an der Kasse im Lidl, die Schlange beim Kino (neulich bin ich nicht mehr in meinen Film reingekommen deswegen), die Schlange beim Einsteigen in den Bus, die schon an Londoner Verhältnisse erinnert. Also diese Dinge gehören zur Überbevölkerung dazu und ich möchte das Meckern und Motzen nicht missen, das im Gedränge von Foyers und Busfluren aus berufenen Mündern von ehemaligen Dichtern und Denkern kommt, aber nur weil es zum vertrauten Klima des gemütlichen Elends beiträgt.

Im Schlangestehen, steckt Potenzial. Nur merken das die Wenigsten. Schließlich erlaubt es mir wertvolle Zeit zum Entspannen oder Musik hören. Ich kann auch in einer übervölkerten Arztpraxis locker die Hände in den Schoß legen und meinen Alltag für wertvolle Stunden lang reflektieren oder all die Zeitschriften lesen, die ich mir aus ideologischen Gründen sonst nicht kaufe. (Ich sehe nur zu, dass keiner mich beobachtet, wenn ich die Seite mit den Horoskopen aufschlage).  Der Überbevölkerung ist es also zu verdanken, dass ich mir gelegentlich ein wenig Ruhe gönnen und darüber nachdenken kann, wie ich mir beispielsweise das Privileg eines Migrationshintergrunds verschaffe. Oh ja: auswandern. Irgendwohin, wo es ruhiger ist und wo die Nachbarn meine Musik hören und wo ich mein Kinoticket immer sofort kriege, wo ich gleich dran komm beim Arzt, der mich mit Namen begrüßt und sich erkundigt, auch die Frau an der Kasse würde mich kennen und wir würden ein Schwätzchen halten. Ob Schwarzwald, Ardennen oder das australische Outback, es schwebt mir ein Ort vor, aus dem die Überbevölkerung sich auf mysteriöse Weise zurückgezogen hat und der trotzdem so schön ist, dass jeder gern seinen Urlaub dort verbringen würde. Ein Ort also, wo nicht früh um halb sechs eine Rockoper losdonnert, wo es im Hauflur nicht nach Klo müffelt und der Müll in den Grünanlagen rumliegt, wo die Bäckereien nie übervölkert sind und wo man nachts kein Taxi braucht, um heim zu kommen, weil man zu Fuß gehen kann und wo die Luft immer frisch ist und die Leute recht freundlich grüßen, weil sie noch nicht so entnervt sind von all der Überbevölkerung, wo dir nicht an jeder Ecke einer ein Pamphlet in die Hand drückt und dich als Mitglied werben will. Wo die Telefonhäuschen unversehrt sind und die Häuserwände ohne Graffiti sind, jawohl und frisch gestrichen.

Ich überlege mir auch, ob es Kosten sparender wäre, mich zur Ameise umoperieren zu lassen, denn die Ameisen schaffen das, auf einem übervölkerten Haufen Tannennadeln die organisierte Ernährung und Fortpflanzung zu praktizieren. Bedenken habe ich, weil die so hart arbeiten, nun ja, ich müsste mal beim nächsten Schlangestehen drüber nachdenken.